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Friday, November 14, 2008
Ein Traum
Meine Freundin und ich wanderten morgens durch den Tiergarten. Die Sonne ging auf, der morgendliche Nebel waberte am Boden und es roch frisch in Berlin. Es war Spätsommer und die Blätter fingen an, sich zu verfärben. Ein Eichhörnchen schaute sich frech um, als es eine alte Linde hinaufkletterte, so als würde es sagen wollen, passt auf, heute wird noch was geschehen. Wir spazierten unbeeindruckt weiter und genossen den Morgen. Es war so schön mal wieder einen freien Tag mit der Liebsten zu verbringen. Mein Telefon klingelte und meine hysterisch klingende Mutter sagte nur, lass uns doch zum Mittag am Brandenburger treffen. Okay, dachte ich, wenn weiter nichts ist. Im Hinterkopf plante ich aber, das Speisen an sich in den Friedrichshain zu verlegen. Ich fühlte mich bei dem Gedanken erwischt, dass dogmatische Sparen in Berlin in den Vordergrund zu stellen. Mei-ne Mutter muss auch kein Vermögen ausgeben, rechtfertigte ich mich dann vor mir selbst und wandte mich meiner Freundin zu. Sie kochte vor Wut und sprach ihre Gedanken endlich aus. Ich hasse deine Mutter für ihre plänedurchkreuzenden Vorschläge und überhaupt, wer soll das Essen überhaupt bezahlen? Das Brandenburger Tor haben wir schon so oft besucht und nach 10 Jahren Berlin ist es nichts Besonderes mehr. Wind fegte durch die Strassen und es zogen Wolken auf. Ich fühlte förmlich schlechtes Wetter kommen und dachte an das Eich-hörnchen. Wir gehen in das italienische Restaurant bei uns um die Ecke, hörte ich mich noch sagen, da bemerkte ich, dass meine Freundin offensichtlich beschlossen hatte zu gehen. Du hörst mir ja sowieso nicht zu. Geh zu deiner Mutter und hab einen schönen Tag, ich jedenfalls lass mir meinen nicht durch deinen Mutter versauen. Keine Lust. Gut, dann eben mit Mutter das Tor bestaunen, ein bisschen flanieren, essen und dann aber schnell wieder verabschieden. Soll sie doch ihr Leben bitteschön allein interessanter gestalten. Warum muss ich als ihr Sohn für ihre Unterhaltung sorgen? Kann sie nicht so viel Taktgefühl beweisen und uns den freien Tag mitein-ander verbringen lassen? Meine Freundin hat Recht, wenn sie sagt, eines Tages besiegelt deine Mutter das Ende unserer Beziehung. Während ich durch den Tiergarten Richtung Brandenburger Tor lief, ging mir so vieles durch den Kopf. Am Holocaust-Denkmal machte ich eine Pause und beschloss, heute sagst du deiner Mutter, dass ihr Verhalten zu weit geht. Ich bin fast 30, lebe schon über 10 Jahre selbstständig in Berlin und sie sorgt immer noch für schlechte Gefühle, die ich sonst mit meiner Kindheit assoziiere. Ich fühle mich oft verantwort-lich für ihr Wohl und wenn ich spüre, dass es ihr nicht gut geht, bin ich sofort alarmiert, so sehr, dass ich über-zeugt bin es ginge um mein Leben. Diese Gedanken will ich ihr schon lange mitteilen, in einem Brief verfasst, nie abgeschickt, habe ich sie tief in mir vergraben. Heute ist der Tag, nehme ich mir fest vor, an dem ich ihr alle meine Gefühle schonungslos auftischen werde. Den Kreislauf durchbrechend, endlich, das ist mein klar formu-liertes Tagesziel. Es wird ihr wehtun und sie wird sich schlecht fühlen, ich dagegen muss drüber stehen und mir immer wieder sagen, sie ist erwachsen und ich bin nicht verantwortlich für ihren Zustand, nur um meinen eige-nen muss ich mich kümmern. Ich will meine Freundin doch nicht verlieren. "Schatz" kitzelt es mich an meinem Ohr auf einer Bank neben dem Mahnmal sitzend "es tut mit leid. Ich wollte nicht weglaufen, aber es nervt ein-fach...“ "Psst." legte ich meinen Zeigefinger auf ihre Lippen und küsste sie leidenschaftlich. Alles ist gut, dachte ich bei mir und steuerte mit ihr den Dunkin Donuts an. "Ich lad dich auf ne heiße Schokolade ein." Mein Kaffee tat so gut, die Schokolade tat ihr Übriges und um die Ecke biegend durchfuhr mich ein herber Schock. Das Brandenburger Tor mit meiner Freundin im Arm hindurchschreitend sahen wir beide meine Mutter mit einer Gummizwirbel Leute beschießen. Entrüstet über diese absurde Begebenheit wäre ich am liebsten vor Scham im Boden versunken, aber wir rannten beide augenblicklich zu ihr und entrissen ihr wütend die Zwirbel. Wie aus einem Albtraum erwacht, guckt sie uns an und ihre Mimik sowie Gestik erinnert mich an Kindertage, wenn meine Freunde und ich bei Streichen erwischt wurden. Sagen konnten wir alle drei nichts und begrüßen konnte ich sie auch nicht. Ich nahm ihre Hand und wir gingen zur S-Bahn, schweigend mit den Blicken auf den Blicken gerichtet. In der S-Bahn hatte sich meine Mutter offensichtlich beruhigt und fragte fast verschmitzt, wo wir denn nun speisen werden, sie hätte Hunger und überhaupt fragte sie, was wäre schon passiert in den letzten Stunden. Ihr wäre so langweilig wie nie zuvor. Schulterzuckend warf ich meiner Freundin fragende Blicke zu und wir entschieden uns zum schweigen. Ignoranz soll ja helfen. "Wir müssen umsteigen" sagte ich in einem bestim-menden Ton, nahm meine Mutter an die Hand und war plötzlich so stark. Ich fühlte mich verantwortungsbe-wusst und erwachsen. "Ich muss los." riss es mich aus diesem Gefühl und schon bog meine Freundin ab und verschwand. Das machte mich traurig, aber meinem Gefühl der Stärkste zu sein tat das keinen Abbruch. Meine Mutter schwieg und ich erkannte in ihrem Gesicht Sorgenfalten. Ich beschloss einfach hier an der Friedrichstras-se mit ihr essen zu gehen. "Möchtest du mal Vietnamesisch ausprobieren?" fragte ich sie und riss sie mit mir. Das Restaurant war gleich am Bahnhof, nicht sehr teuer und vor allem zu dieser Tageszeit noch leer. Sie sagte noch immer nichts und starrte mittlerweile nur noch Löcher in die Luft. Ich bestellte zwei Mittagsmenüs und half ihr aus den Klamotten. Wie aus heiterem Himmel veränderte sich ihr Haltung und sie sprach zu mir, wie meine Mutter, sehr klar und deutlich. "Was macht dein Job? Hast du genug Geld? Dein Vater ist nun 1 Jahr tot und die Versicherung weigert sich noch immer, mir das Geld auszuzahlen. Das kotzt mich an!" Ich wusste nicht so recht, was ich antworten sollte und ob ich jetzt in diesem Moment mit ihr über Alltagsprobleme reden möch-te. Ich schwieg und erfreute mich an der Rettung durch das servierte Essen. "Das ging schnell" sagte ich. Mein vegetarisches Menü war sehr lecker und scharf, meine Halsschmerzen wird es schon zu vertreiben wissen. "schmeckt es dir?" fragte ich und ohne ein Wort zu sagen, stand sie auf und verlangte nach ihrer Jacke. "Wir haben aber nicht aufgegessen" versuchte ich sie bestimmend am Gehen zu hindern, aber wild entschlossen steu-erte sie auf die Garderobe zu. Dann soll es eben so sein, dachte ich und zog mich auch an. "Gehen wir!" und stiegen wieder in die S-Bahn. Im fast überfüllten Wagen fing sie an zu klagen, dass ihr schon wieder langweilig sei und dass die Leute sie alle anstarren würden. Viele schauten weg, eine Frau aber wirkte beschämt und starrte sie sogar noch intensiver an. Der Rastamann schaute mich über ihre Schulter lächelnd an und ich erwiderte das Lächeln. Sie hörte auf zu klagen und ich beschloss, einfach zu uns zu fahren, einen Kaffee zu trinken mit ihr und dabei ernsthaft nachzubohren, was nicht mit ihr stimmt. Ob es wohl an den Tabletten liegt, fragte ich mich be-sorgt. Wir stiegen aus und liefen über die Warschauer Brücke Richtung Frankfurter Tor und entschieden uns dafür bis nach zu Haus zu laufen. Frische Luft, sowie die gechillte Atmosphäre des Friedrichshains werden sie schon beruhigen. Wir liefen und liefen, der Himmel klarte ein wenig auf und Sonnenstrahlen kitzelten meine Nasenspitze. Sie riss plötzlich meinen rechten Arm mit sich, abbiegend direkt auf ein Straßenfest zusteuernd. Sie strahlte übers ganze Gesicht. "Nein" sagte ich sehr laut "wir gehen doch jetzt Kaffee trinken bei uns zu Hau-se!" "Was willst du denn da?" Sie reagierte nicht und zog immer schnelleren Schrittes an meinem Arm. Sie lief direkt in die Menge und bestaunte die Stände, welche handgemachte Kunst und Allerlei zu Essen anboten und ich hörte im Hintergrund schon Live-Musik. Wahrscheinlich wird es eine Bühne sein, aber was ist das für ein Fest hier aufm Boxi fragte ich mich, als sie meinen Arm losließ und einfach wegrannte. Sofort lief ich auch schnell und erblickte ihren Kopf in der Menge. Richtung beibehalten ermahnte ich mich. Immer wieder ver-schwand er und tauchte wieder kurz danach auf, immer schnelleren Schrittes versuchte ich ihr zu folgen, doch ich verlor sie nun endgültig aus den Augen. Zwischendurch dachte ich, wie schön allein auf diesem Fest zu sein und die Band in der Mitte des Platzes brachte die Menschen um mich herum in richtige Partystimmung. Meis-tens war ich aber besorgt und verlor mich dann in Gedankenspiralen, was ihr alles passieren könnte, was sie wohl vorhat, wohin sie will, wenn ich sie nicht finde, ist sie fähig mich zu finden? Es hörte nicht auf und ich sah ihren Kopf nicht. Die Besorgnis wuchs zur Angst heran und bedrückte mich jetzt richtig arg. Ich beschloss ste-hen zu bleiben und erstmal eine Zigarette zu rauchen und dabei konzentriert einen Plan zu zaubern. So dastehend schaute ich nervös gleichzeitig in alle Richtungen, mit der Hoffnung ihren Kopf wieder zu erblicken. Ich wollte wieder Fährte aufnehmen und dachte schmunzelnd, ich sollte es vielleicht al Jagd betrachten. Auf ins Getüm-mel. Ab und zu bliebe ich stehen und sah die Leute vor den Ständen stehend an, in der Hoffnung meine Mutter zu finden. Vielleicht kauft sie ja gerade etwas. Ich erblickte einen kleinen Drachen aus Holz gefertigt am Him-mel und dachte, dass so was fliegen kann, wie witzig. Ich folgte dem Drachen und versuchte mich immer wieder zu konzentrieren ihren Kopf unter den vielen hier zu finden. Es ist ermüdend und man braucht unbedingt Er-folgserlebnisse zwischendurch, fand ich. Der Drachen kam immer näher und ich sah meine Mutter mit einer Art Angelstange umherlaufen. Blitzschnell rannte ich auf sie zu. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig, als mich auf sich zu rennen sah und sie wirkte unheimlich wütend. Sie senkte die Stange mit aller Kraft in meine Richtung, sehr entschlossen sah das aus. Der Drachen flog sehr schnell über meinen Kopf hinweg direkt ins Gesicht eines Mannes, der sitzend gerade ein Schnitzel verdrückte. Er erschrak sie beim Aufprall und schrie sofort blutend, dass er jetzt blind sei. Die Wunde, vormals das Auge, blutete sehr stark und er schrie jetzt hyste-risch nach Hilfe. Die anderen neben ihm, schon längst aufgesprungen, versuchten mit einem Schal das Bluten zu stoppen und fingen an, fürchterlich zu weinen. Die Atmosphäre kippte in Panik um und ich stand regungslos beobachtend mittendrin. Mich überfiel ein Schwall an Gefühlen, ich musste auch wegschauen, denn das viele Blut verursachte auch noch wahnsinnige Übelkeit, und auch wieder versuchte ich meine Mutter zu finden zwi-schen den umherlaufenden Menschen. Automatisch ging ich los und ehe ich mich wieder fand, völlig außer Atem zwei Straßenecken weiter, wollte ich mich beruhigen, fing aber sofort an zu heulen. Es war ein kotzendes Heulen, mein Körper verspannte sich total und ich kotzte meine Tränen auf die Strasse. Diese Art von Ausbruch kannte ich noch nicht. Das dauerte einen Moment und ich schwankte gefühlsmäßig ins total lächerliche und lachte auch plötzlich sehr bittere Tränen. So etwas hatte ich vorher noch nicht erlebt. Vielen Dank, dachte ich bei mir und kam langsam wieder zu Sinnen. Ich muss zurück und sie finden, ermahnte ich mich und merkte wieder schlimme Gefühle sich vom Magen zum Kehlkopf hinaufarbeiten. Tief atmen und denken. Ein Arzt wird bestimmt schon vor Ort sein, aber vielleicht sollte ich die Polizei rufen, oder besser gleich den sozial-psychiatrischen Dienst, oder bringt die Polizei vielleicht gleich einen Psychoonkel mit, wie meine Mutter pflegt zu sagen, und die Tränen liefen mir wieder über die Wangen. Wo wird sie sein? Die Tränen waren nun eher Tränen der Wut, die aufkeimte und bestimmt anschwellen wird. Meine Schritte wurden schneller und ich immer fester entschlossen, dem Treiben meiner Mutter ein Ende zu setzen. Sie muss wieder in die Klinik, dachte ich. Nur dort kann ihr geholfen werden. Ich bin dafür nicht stark genug und will mein eigenes Leben führen. Die Tränen wegwischend bog ich wieder um die Ecke und die Menschen strömten alle gegen mich, sodass ich mich regelrecht vorkämpfen musste. Da sah ich sie, wie ein Häufchen Elend auf dem Boden sitzend und bitterlich weinend. Ein Polizist stand neben ihr und hielt ihre Tasche in der Hand. Ich ging auf ihn zu und sagte direkt "Ich bin ihr Sohn und war dabei. Sie wollte mich treffen." Der Krankenwagen bahnte sich mit schrillend lauter Sirene seinen Weg. Für den Moment hoffte ich, der Mann würde nur sein Auge verlieren. Dass Gehirn sollte nicht verletzt sein. "Ich muss ihre Mutter jetzt mit aufs Revier nehmen" und ich entgegnete sofort "sie war bis vor 6 Monaten in einer Klinik für Depressionserkrankungen und gerade auf dem Wege der Besserung. Sagen sie das dem Psychiater. Ich komme dann zur Zeugenaussage später aufs Revier nach." Das Fest war vorbei, aber mein Tag noch lange nicht....
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